Beurteilung

Beurteilung der Krise:

„Die „Rote Armee Fraktion (RAF)“ war die gefährlichste terroristische Vereinigung im Deutschland der Nachkriegszeit. Sie trat 1970 an mit dem Ziel, Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland durch Morde und andere Gewalttaten im sozialistischen Sinne zu verändern. Ihre Mitglieder waren in dem von ihnen erklärten Krieg gegen unseren Staat und unsere Gesellschaft zu allem entschlossen; sie arbeiteten mit großer krimineller Energie und gewissenloser Brutalität.“, Pflieger, Klaus. Die RAF, S. 5.

So beschreibt der ehemalige Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger die Motive und Ziele der RAF. Die Auswirkungen dieser terroristischen Vereinigung äußerten sich in vielfacher Weise im alltäglichen Leben der Menschen und prägten die 1970er Jahre. Zu diesen Auswirkungen zählten in den etwa 28 Jahren ihrer terroristischen Aktivität nicht nur die 34 Personen, die ermordet wurden, sondern auch die enormen Sachschäden und die „bleibenden Schäden“, die der Terror und die ständige Bedrohung bei den Menschen zu der Zeit hinterlassen haben. Auch wenn heute nur noch wenige spürbare Folgen von uns bewusst wahrgenommen werden und auf diese Krise zurückgeführt werden können, da es zunehmend in Vergessenheit gerät, sind uns während der Arbeit an dem Projekt doch einige Punkte ins Auge gefallen, die für heutige und zukünftige Krisen von Bedeutung sind.

Bei der Bewertung des Handelns der Menschen zur damaligen Zeit ist eine Unterscheidung in verschiedene Gruppen notwendig. In Bezug auf die Mitglieder der RAF halten wir es für sinnvoll den öffentlichen Protest zu starten, falls man die Notwendigkeit dazu sieht, um eine Änderung in der gesellschaftlichen Denkweise hervorzurufen. Dies sollte allerdings ohne Gewalt von statten gehen und es dürfen dabei keine Menschen zu Schaden kommen, gefährdet werden oder auch nur in Angst geraten. Auch wenn wir einige Ziele der Studentenbewegung zur damaligen Zeit nachvollziehen können, halten wir die Art der Durchsetzung der eigenen Interessen und Zielen jedoch für fragwürdig. Demokratie sollte die Interessen aller vertreten und nicht die Einzelner.

Zum Handeln der Polizei und der Regierung ist uns aufgefallen, dass diese nicht transparent genug agierten. Das führte zu mehr Verunsicherung der Bewohner in Sachsenheim und den Menschen in ganz Deutschland, da sie nicht wussten, was genau vor sich ging. Folglich wur-den RAF-Mitglieder, die im Vorfeld des Buback-Attentats in Sachsenheim gesichtet wurden, auch nicht gemeldet, da die Bevölkerung nicht sensibilisiert und informiert war. Zudem wurde oft gewaltsam oder „unsensibel“ vorgegangen. Die Hausdurchsuchungen und Fahrzeugkon-trollen waren zwar notwendig und richtig, aber das Vorgehen dabei wurde oft als zu hart wahrgenommen. Gerade die schwere Bewaffnung der Polizisten zum Beispiel bei Haus-durchsuchungen führte zu noch mehr Verunsicherung. Auch der Umgang mit Zeugen war laut Aussagen „menschenunwürdig“, was zu einer kritischen Haltung seitens der Bevölkerung führte. Dies ist eventuell auf die große Anspannung aufgrund des hohen medialen Drucks und des Drucks von leitenden Ermittlern zurückzuführen. Aus Angst vor einer negativen Berichterstattung in den Medien wurden den Häftlingen in Stammheim zudem auch „Sonderprivilegien“ eingeräumt, was diese natürlich für sich ausnutzen und so zum „Kopf der Truppe“ wurden. Auch wurden die Anwälte und Gegenstände, die ins Gefängnis kamen, nicht genau genug kontrolliert, weshalb es den Inhaftierten erleichtert wurde in Kontakt zur Außenwelt zu treten und weitere Pläne zu verfolgen. Hier ließ sich die Regierung zu sehr beeinflussen, was wiederum zu Unmut bei anderen Häftlingen führte. Um dies alles zu vermeiden, wäre eine umfassende Information der Bevölkerung über die Haftbedingungen beziehungsweise die Vorgänge in der Justiz (z.B. Gerichtsverhandlungen) hilfreich gewesen, um Fehlinformationen (wie Zum Beispiel die „Isolationshaftvorwürfe“) zu vermeiden. Hinzu kommt außerdem, dass einige „Pannen“ passiert sind, die das weitere Vorgehen der Regierung zudem erschwerten. Zum einen ließ sich die Regierung der BRD „erpressen“ und ist auf die Forderung zur Freilassung von elf Inhaftierten der RAF (2. Juni-Bewegung) bei der Entführung des Politikers Peter Lorenz am 27. Februar 1975 eingegangen. Dieses Verhalten der Regierung führte zu weiteren Entführungen durch die RAF um weitere Mitglieder „freizupressen“. Nach der Entführung Schleyers und dem Signal der BRD, dass nicht mehr verhandelt würde, kam es zu keinen weiteren Entführungen mehr. Zum anderen hätte der Tod Schleyers eventuell verhindert werden können, da die Polizisten die vor der Wohnungstür standen, in der Schleyer im Abstellraum gefangen war, auf das SEK warteten. Das Fernschreiben, mit welchem das SEK alarmiert werden sollte, kam jedoch nicht an. Diese Beispiele zeigen, dass die Regierung teilweise mit der Situation überfordert war oder auch teilweise übereilig reagierte.

Zudem wurden die Medien Ende der 1970er Jahre zum Kommunikationsmedium zwischen den Terroristen und der Regierung. Hierbei standen die Menschen und die Auswirkungen auf sie wenig im Mittelpunkt, was zu noch mehr Unverständnis und kritischen Haltungen führte. Des Weiteren wurde nicht immer objektiv berichtet. So wurden RAF-Mitglieder anfänglich als „Anarchisten“ bezeichnet und der Chefredakteur des Spiegels war zum Beispiel ein starker Sympathisant der RAF.

Die meisten von uns befragten Anwohner und Zeugen schilderten uns, dass sich die Angst zu Beginn relativ in Grenzen hielt, da sich die Aktionen der RAF zunächst nicht gegen Zivilisten gerichtet hatten. In diesem ersten Zeitraum fanden sich auch noch mehrere Sympathisanten unter den von uns befragten Zeitzeugen. Nach der Schleyer-Entführung wurde die Unsicherheit jedoch greifbarer, was zu Fassungslosigkeit und Unverständnis führte. Ab da verspürten sie eine gewisse Angst vor der Möglichkeit selbst Ziel eines RAF-Attentats zu werden, da die Aktionen von nun an mehr zivile Opfer forderten. Dennoch verhielten sich die meisten Zeitzeugen kooperativ, obwohl sie durch die vielen Hausdurchsuchungen zusätzlich verunsichert wurden. Gerade vor diesem Hintergrund ist das unterstützende Verhalten einiger Anwohner sehr hervorzuheben, da sie sich dadurch eventuell sogar selbst in Gefahr brachten und ihnen dadurch noch weitere Beeinflussungen drohten. Einige Bürgermeister und Politiker vor Ort, wie zum Beispiel der Bürgermeister Herr Lüth von Sachsenheim verhielten sich aber sehr kooperativ, der zum Beispiel alle Räume im Rathaus für die Ermittler des Bundeskriminalamts zur Verfügung stellte. Dies tat er, obwohl er danach Gewaltandrohungen erhielt, was zeigt, wie wichtig ihm die Aufklärung des Falles war.

Zum Abschluss stellt sich die Frage, was man aus dieser Krise für heutige und zukünftige Krisen „lernen“ kann. Zum einen hat sich gezeigt, dass Transparenz und eine bessere Aufklärung der breiten Bevölkerung in Krisensituationen von großer Bedeutung sind, damit das Handeln von terroristischen Organisationen erschwert wird und die Bevölkerung besser mit der Situation umgehen kann. Natürlich ist hier nicht gemeint, dass durch ständige Information eine Art Massenpanik oder eventuell auch eine Abstumpfung in Bezug auf das Thema entstehen, aber gerade in der damaligen Zeit hätte eine bessere Information der Bevölkerung für mehr Akzeptanz und Sicherheit geführt. Hier wurde die mangelnde Erfahrung im Bereich des Terrorismus bemerkbar.

Zum anderen musste die Regierung Strategien entwickeln, wie man mit einer terroristischen Bedrohung umgehen beziehungsweise diese abwenden kann. Auch wenn man den damaligen Terror nicht mit heutigen terroristischen Bedrohungen vergleichen kann, so wurden damals doch Gesetze verabschiedet, die auch heute noch zur Anwendung kommen. Dazu gehört, dass die Anzahl der Wahlverteidiger auf maximal drei gewählte Verteidiger beschränkt wurde (§ 137 Abs. 1 Satz 2 Strafprozessordnung – StPO). Zudem können Verteidiger ausgeschlossen werden, wenn dringende Verdachtsmomente vorliegen (§ 138 a StPO). Auch das Gebot der Mehrfachverteidigung, das vorschreibt, dass ein Verteidiger im selben Verfahren nicht mehrere Beschuldigte vertreten darf (§ 146 StPO) und die Vorschrift „Herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit“ (§ 231 a StPO), wonach ein Prozess auch in Abwesenheit eines Angeklagten durchgeführt werden kann, wenn sich dieser „schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat“, wurden 1974 vom Bundestag verabschiedet, um in solchen Verhandlungen schnell agieren zu können und etwaige Verzögerungen oder Beeinflussungen zu verhindern. Hier kann man sehen, dass der Staat zwar auf die Aktivitäten der RAF reagiert hat, sich aber nie auf den von ihr einseitig erklärten „Krieg“ eingelassen hat. Wichtig ist im Kampf gegen terroristische Aktionen und Gruppen heute, dass die Regierung effektiv handelt und sich weiterhin mit neuen Gesetzen den immer neuen Situationen anpasst, ohne dabei zu überreagieren oder zum Polizeistaat zu werden.

Des Weiteren zeigen auch heutige terroristische Anschläge wie wichtig eine erfolgreiche Präventionsarbeit der Sicherheitsbehörden ist. Dies muss bereits in der Schule durch eine Demokratieerziehung und die Erziehung zum mündigen Bürger beginnen. Dann ist es aber auch in der Gesellschaft wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger dann auch diese Demokratie einfordern können und sich ein Sprachrohr verschaffen können, gehört und ernst genommen werden. Dies geschah damals in den Zeiten der Studentenbewegung nicht, weshalb einige Studenten den gewaltsamen Weg dafür wählten. Den Menschen muss in einer funktionierenden Demokratie Raum für eine eigene politische Meinung gegeben werden und so ist eine Art Forum oder ein Dialog wichtig. Die falsche Option wäre eine Unterdrückungspolitik, da sich schon damals gezeigt hat, dass Gewalt oft Gegengewalt erzeugt. Besonders wichtig in diesem Bezug ist auch die Ausstrahlung einer gewissen Ruhe und Souveränität, da es sich gezeigt hat, dass sich die Unsicherheit auf die Bevölkerung überträgt und so zu mehr kritischen Haltungen führt. Ein weiterer Punkt in Sachen Prävention ist der Schutz von Personen im öffentlichen Leben, die eventuell Ziel eines Anschlags werden könnten. Dies geschieht heute mit Personenschutz und gepanzerten Wägen. Die Diskussion um die Anzahl der Personenschützer beim Buback-Attentat hat gezeigt, dass man damals die Situation nicht richtig eingeschätzt hat, wovon die Polizei und andere Schutzorganisationen heute lernen können. Hierzu gehört auch, dass unter dem BKA-Präsidenten Horst Herold Veränderungen der Sicherheitsarchitektur vorgenommen wurden, um die „innere Sicherheit“ zu erhöhen. So wurde bei der Polizei zum Beispiel die Ausbildung der strafverfolgenden und gefahrenabwehrenden Polizeikompetenz und zu einer gewissen Zentralisierung bei verschiedenen Aufgabenbereichen.

Auch der Umgang mit den ehemaligen Terroristen lohnt näherer Betrachtung. Viele ehemalige RAF-Mitglieder sind heute wieder in die Gesellschaft integriert und bereuen mittlerweile ihre Taten: „Das Ende dieses Projekts zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten.“ Dies zeigt, dass im Umgang mit Terroristen darauf geachtet werden sollte, dass sie weder rechtlos gestellt werden noch gar den Status eines „Kriegsgegners“ erhalten. Sie müssen vielmehr wie jeder andere Straftäter behandelt werden, damit eine Wiedereingliederung möglich sein kann.

Zudem ist eine Aufarbeitung von traumatischen oder bedeutsamen geschichtlichen Ereignissen von enormer Bedeutung. Die Studentenbewegung richtete sich unter anderem auch gegen die „Mauer des Schweigens“ über das Thema des Nationalsozialismus und dagegen, dass einige ehemalige NS-Funktionäre nach dem Krieg wieder in einflussreiche Positionen gelangen konnten. Dies sind ganz klare Folgen eines „Nichtumgehens oder Nichtaufarbeitens“ eines geschichtlichen Konflikts. Auch im Umgang mit dem Thema RAF zeigte sich danach, dass bei der Aufklärung wieder eine Art „Mauer des Schweigens“ errichtet wurde. Einige Zeitzeugen sagten uns: „Darüber wird halt nicht so gerne gesprochen, wenn man Kontakt zur RAF hatte.“ Auch der Sohn Buback’s traf nach eigenen Angaben auch wenig offene Türen. Hier muss die Regierung in der Zukunft weitaus mehr Aufarbeitung betreiben und aktiv zur Aufklärung beitragen, damit intensiv nach den Ursachen und Auswirkungen geforscht werden kann.

Abschließend kann man also sagen, dass der Umgang mit Terror sich natürlich von Situation zu Situation unterscheidet, jedoch erscheinen uns nach unseren Untersuchungen die Themen Transparenz, Demokratieförderung, Aufarbeitung und Schnelligkeit beim Handeln als besonders wichtig, weswegen in künftigen Krisen besonders darauf geachtet werden sollte.

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